Wenn sich alle an die Regeln halten, passiert schon nichts, dann ist doch alles gut so wie es ist – solche und ähnliche Sätze hören und lesen wir in letzter Zeit sehr häufig, als Reaktionen auf unsere Social-Media-Beiträge und besonders auch von Politiker:innen aus Lüneburger CDU, SPD und FDP, wenn es darum geht, wie die Sicherheit für Radfahrende verbessert werden könnte. Schnell ist dann von Rowdys die Rede, die erstmal auf der richtigen Seite, mit Helm, Licht, Weste, langsamer fahren sollen, bevor sie Forderungen stellen dürften. Warum sorge denn der Radentscheid nicht für die Einhaltung dieser Regeln, bevor er hier dreist einen Fahrradstraßenring, breite Radwege, sichere Kreuzungen und Schulstraßen fordere?
Warum halten wir uns nicht einfach an die Regeln, so wie es alle vernünftigen und sozialen Menschen tun?
Ganz einfach – weil ich als Radfahrerin mehrmals die Straßenseite wechseln muss, um auf einem Radweg zu fahren, der mal links und mal rechts verläuft und manchmal auch auf beiden Seiten, aber ist das überhaupt noch ein benutzungspflichtiger Radweg? Im Herbst liegt er permanent voll Laub, im Winter ist er oft nicht gestreut oder zugeschneit und meistens ist er voller Löcher, Schilder, Gullis und Wurzeln und viel zu schmal und ich muss ihn mir mit E-Bikes, Lastenrädern, Rollern, Rädern mit Anhängern teilen, die alle unterschiedlich breit und schnell sind. Oft auch noch mit Fußgänger:innen. Manchmal endet der Radweg plötzlich und ich muss auf der Straße weiterfahren. Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich ihn jetzt benutzen darf, muss oder kann und wie ist das, wenn meine 7-jährige Tochter dabei ist? Und der Zehnjährige? Und meine alte Mutter? Wer fährt dann wo? Bei mir führen diese Umstände dazu, dass ich da fahre, wo meine Liebsten und ich mich am sichersten fühlen oder – meist, wenn ich alleine und vielleicht in Eile bin – da wo ich am schnellsten und unkompliziertesten an mein Ziel komme. Ich wage zu behaupten, dass es so den allermeisten Menschen geht, die auf dem Rad unterwegs sind. Denn:
Radfahren ist nicht mein Hobby! Mein Fahrrad ist kein Sportgerät, kein Luxusartikel, keine Option – es ist ein Verkehrsmittel, mein Verkehrsmittel! Ich brauche es, um mobil zu sein und finde außerdem, dass es – besonders in einer Stadt wie Lüneburg – das logischste, schnellste und klimafreundlichste Verkehrsmittel ist. Ich glaube an eine Verkehrswende und möchte weniger CO2 verursachen.
Ich soll mich an die Regeln halten? Dann will ich aber auch, dass meine Interessen gehört und Ernst genommen werden. Dann will ich den Sinn hinter einer Regel verstehen und eine Gleichberechtigung der Verkehrsmittel. Ich will, dass öffentlicher Raum gerecht aufgeteilt wird – das muss zwangsläufig bedeuten, Straßen und Parkplätze so umzugestalten, dass Zufußgehende, Radfahrende und ÖPNV dort Raum abbekommen, den jetzt nur Autos in Anspruch nehmen. Ich wundere mich über Aussagen wie, man könne ja nicht nur immer die Radfahrer:innen begünstigen – das klingt als würden diese sogar bevorzugt. Dabei sind sie nicht einmal gleichberechtigt. Das ist so offensichtlich, dafür braucht es noch nicht mal Studien.
Aber nochmal zurück zu den vernünftigen und sozialen Menschen, die sich an Regeln halten. Wo sind die? Sind das die Autofahrer:innen, die Radfahrende auch überholen, wenn der Abstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden kann, die auf Rad- und Gehwegen parken, sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen nur halten, wenn ein Blitzer in der Nähe ist und mal eben doch die Abkürzung durch die eigentlich für Autoverkehr gesperrte Neue Sülze nehmen?
Geschenkt – wir sind alle nur Menschen, die fehlbar sind, viele von uns nutzen verschiedene Verkehrsmittel und nicht nur entweder Auto oder Fahrrad oder Bus und Bahn. Wir haben schlechte Laune, Zeitdruck oder gerade erst den Führerschein gemacht. Manchmal sind wir einfach nur unkonzentriert oder vielleicht sehr jung oder sehr alt. Sollten wir deshalb überfahren werden? Oder jemand anderen überfahren. Haben wir deshalb kein Recht, sicher durch den Verkehr zu kommen? Die Umstände müssen so sein, dass das geht, dass es nicht nötig und manchmal noch nicht einmal möglich ist, sich nicht an Regeln zu halten, dass ich gerne Regeln befolge, weil es sogar Spaß macht oder zumindest sinnvoll ist. Dass ich eigentlich gar keine Regeln brauche, weil es logisch, einfach und gut ist wie es ist – z.B. mit dem Lastenrad auf diesem bisher hier noch nicht existenten baulich getrennten superbreiten und superglatten Radweg zu fahren. Und mit dem Auto daneben, einspurig auf dem Einbahnstraßenring, ohne Stau und entspannt ins leere Parkhaus, von da aus zu Fuß weiter in die grüne, autofreie Innenstadt oder vielleicht mit dem Shuttletaxi direkt bis zu meinem Ziel, wenn ich gehbehindert oder krank bin? Es gäbe viele Optionen, die alle berücksichtigen und die vernünftig und sozial sind.
Es ist großartig, dass es inzwischen überall so viel mehr Menschen gibt, die Rad fahren möchten, nicht als Hobby, sondern die das Rad ganz selbstverständlich als gesundes, klimafreundliches und praktisches Verkehrsmittel nutzen. Die Politik muss das Ernst nehmen und entsprechende Möglichkeiten schaffen – keine Regeln!


