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Armes Lüneburg

Something is rotten in the Stadt of Lüneburg! (Es folgen keine weiteren halbgaren Wortspiele –  versprochen).  Kurzer Blick auf andere Städte in der Region: in Bremen beträgt der Fahrrad-Modal-Split  25%(= prozentualer Anteil an den Verkehrswegen), die Stadt hat Rad-Premiumrouten und baut weitere; Kiel verfügt ebenfalls über Velorouten und baut an einem von Bund und Land massiv geförderten Straßenbahnnetz; Lübeck beginnt mit der Planung desselben; Hamburg hat den Jungfernstieg für den PKW-Verkehr gesperrt. Die stärksten Fraktionen in den genannten Städten sind jeweils SPD und Grüne (Kiel).

 

Schaut man sich im Vergleich dazu die Verkehrspolitik einer CDU-regierten Stadt an, lohnt sich ein Blick nach Berlin. Denn dort kann man sehr gut beobachten, was passiert, wenn eine rechte Partei eine Mitte-Links-Koalition ablöst. Projekte für mehr Verkehrssicherheit werden eingestampft, protected bike lanes werden zurückgebaut, Tempo-30- in Tempo-50-Zonen umgewandelt. Einen vorläufigen Höhepunkt findet die aggressive und die Stadtgesellschaft spaltende Pro-Auto-Politik in der Eröffnung eines neuen Abschnitts der A100. Trotz aller Warnungen drückte die Berliner CDU deren Freigabe durch. Ein Feature des SPIEGEL offenbart die desaströsen Folgen für den angrenzenden Kiez: “Stress für Anwohner und Verkehrsteilnehmer ist rund um die Berliner Elsenstraße Alltag… Jetzt ist ein großer Stressfaktor dazugekommen: vom Autobahnende fließt der Verkehr in den ohnehin verstopften Kiez… Die Anwohner fühlen sich überrollt…. Auf dem Kita-Weg ist es normal, dass man zwischen Autos läuft.” Eine „echt dreiste“ Forderung stellt der Sprecher einer Gegendemo: “Wir möchten bei Grün über die Straße gehen können.” Fazit: “Stau, Lärm, unglaublich aggressive Autofahrer – und die Polizei hat scheinbar komplett kapituliert.” (Letzteres muss man übrigens auch in Lüneburg konstatieren: Polizei und Verwaltung räumten jüngst ein, dass sie gegen die massenhaften Geschwindigkeitsverstöße im Ochtmisser Kirchsteig nichts ausrichten können. Die Straße wird genau wie im Beispiel Berlin auf Basis einer ideologischen, ignoranten und unfähigen Verkehrspolitik zum rechtsfreien Raum. Gut zu beobachten z.B. auch am Ochsensmarkt oder in der Salzstraße)

Jetzt kann man natürlich einwenden, dass die Grünen in Lüneburg ja nun auch die stärkste Fraktion stellen. Stimmt – aber wir haben hier eine besondere Situation. Zur CDU als Widersacherin ist eigentlich fast alles gesagt, vielleicht dies noch – zum Thema Verkehrssicherheit verbreiten die regionalen Granden folgenden „genialen“ Gedanken: Es brauche gar keine sicheren Fahrradwege – wenn sich alle einfach nur an die Verkehrsregeln hielten, dann funktioniere das mit der Sicherheit und dem Miteinander im Straßenverkehr doch automatisch.

Nach dieser Logik müsste die CDU im kommenden Winter den Verzicht auf Betonbarrieren rund um den Weihnachtsmarkt fordern – denn wenn alle sich an die Regeln halten und niemand einen Anschlag plant, sind die Fahrzeugblocker doch eigentlich überflüssig. Wie auch immer: die regelmäßig in Richtung der Radfahrenden fingerzeigende Lehrmeisterei zeigt angesichts der beschriebenen Zustände nochmal besonders krass, wie weltfremd und einseitig interessengeleitet die Autopartei agiert. Geschenkt.

 

Denn das eigentliche Problem in Lüneburg ist die SPD. Wo sie in anderen Städten zumindest teilweise fortschrittliche Ansätze einer nachhaltigen Verkehrspolitik mitträgt, verfolgt sie nach einer durch Wahlniederlage erzeugten narzisstischen Kränkung vorrangig nur ein Ziel – die grüne Oberbürgermeisterin und ihre Verwaltung zu diskreditieren, wo und wann immer es geht. Für diesen Zweck ist die Partei sich auch nicht zu schade, die Umsetzung eigener einstmals gefasster Beschlüsse zur Verkehrswende nunmehr zu torpedieren – und im Einklang mit der CDU, die dafür erforderlichen Mehrheiten zu generieren – zum Beispiel, um den einst vielversprechenden NUMP mehr oder weniger ins Jenseits zu befördern. Das Ergebnis dieser desaströsen Dynamik sind gefühlter Stillstand und Lethargie in einer Stadt, die in puncto Verkehrsentwicklung und Lebensqualität nach und nach abgehängt wird.

Die geballte verkehrspolitische Inkompetenz und Bräsigkeit einer Mehrheit im Stadtrat lässt einen schon erschaudern. Umweltfreundliche Mobilität, autofreie Innenstadt, Stauvermeidung, Lärm- und Abgasreduktion, Entsiegelung, Schwammstadt, sichere Verkehrswege: „Nett, aber bitte nicht bei uns.“ Stattdessen: A39,

Verbrennermotor, gefährliche Kreuzungen, Parkplätze Parkplätze Parkplätze, zusätzliche Autospuren. Willkommen in der Vergangenheit.

 

Was tun? Glücklicherweise wird die Stadt durch viele fortschrittliche Initiativen und Gruppen belebt, die falschen Entscheidungen und ablenkenden Scheinargumenten hörbar etwas entgegensetzen. Ihren Einsatz leisten sie für ein lebenswertes Lüneburg. Leider ist dieses Korrektiv von unten bitter nötig. Denn eine große Anzahl einflussreicher Akteur:innen verfolgt politische Ziele nicht für, sondern gegen die Menschen in der Stadt.