Der vom Rat 2020 initiierte „Nachhaltige Urbane Mobilitätsplan“ (NUMP), der den Handlungsrahmen und die Grundsätze der Verkehrs- und Mobilitätsentwicklung für die kommenden Jahre festlegen sollte, hat ein weiteres Etappenziel erreicht, das möglicherweise bereits sein Ende bedeuten könnte.
Auf Basis der Anfang des Jahres abgeschlossenen Bestandsanalyse wurden in einem breit angelegten Beteiligungsprozess Empfehlungen erarbeitet, die den Verkehr umweltfreundlicher und sozial gerechter gestalten sollen. Sie wurden im August 2024 vom mit dem NUMP beauftragten Planungsbüro in Form von 30 „Maßnahmensteckbriefen“ vorgelegt. Nach dem im Jahr 2021 vereinbarten Prozedere sollte der Rat diese noch groben Empfehlungen in seiner Oktobersitzung als übergeordneten Handlungsrahmen billigen, so dass das Planungsbüro einen Anschlussbericht erstellen und die Verwaltung auf dieser Basis Einzelmaßnahmen priorisieren und konkretisieren kann, die dann ab 2025 in den politischen Gremien beraten und beschlossen werden können.
Ob es hierzu noch kommt, steht jedoch in den Sternen, nachdem die SPD, CDU und FDP den Maßnahmensteckbriefen in der Ratssitzung im Oktober ihre Zustimmung verweigert und den NUMP mit fadenscheinigen Begründungen massiv attackiert haben.
Nachdem sie jahrelang bei verkehrsplanerischen Diskussionen auf den NUMP verwiesen haben, stellten sie nun plötzlich genau dieses Konzept in Frage. So bemängelten sie, der NUMP berücksichtige Wirtschaftsinteressen nicht, grenze Autofahrer:innen aus, eine Zustimmung durch den Rat gebe der Stadt einen Freibrief zur Umsetzung nicht finanzierbarer Maßnahmen. Alles abwegige, leicht widerlegbare Vorwürfe, aber auf eine sachliche Auseinandersetzung kam es den Parteien offensichtlich nicht an.
Das hat weitreichende Folgen: Durch den eingelegten Rückwärtsgang werden Unsummen an Steuergeldern verschwendet. Außerdem machen die drei Parteien durch ihr Verhalten deutlich, dass sie das monatelange Engagement aller Bürger:innen und Stakeholder im NUMP kaltschnäuzig ignorieren und dass sie das Ziel einer Verkehrswende hin zu weniger motorisiertem Autoverkehr und einem höheren Anteil nachhaltiger Mobilität nicht mehr mittragen – etwa das in den bereits vorhandenen Konzepten und Plänen der Stadt enthaltene Ziel, den Anteil des Radverkehrs an allen Wegen solle zukünftig 35% betragen.
Ob der NUMP zu Ende geführt oder neu aufgerollt wird, wird der Rat in seiner nächsten Sitzung am 28.11.2024 entscheiden.
Was beinhalten nun aber die 30 Maßnahmensteckbriefe, die eine so massive Gegenwehr von SPD, CDU und FDP auf den Plan rufen? Kurz vorweg: viel Gutes, aber den erhofften großen Schub für die Verkehrswende leider auch nicht. Große Schritte zur Umverteilung von Verkehrsraum wie die Einrichtung von Einbahnstraßen oder echter Fahrradstraßen unter Ausschluss motorisierten Verkehrs sind in den Steckbriefen nicht enthalten.
Die erarbeiteten Maßnahmen gliedern sich in diese sechs Themenfelder:
- Fußverkehr: Ein strategischer Ausbau des Fußwegenetzes soll Sicherheit und Barrierefreiheit erhöhen, um Fußgänger:innen besser zu integrieren.
- Radverkehr: Geplant ist ein störungsfreies Radverkehrsnetz mit verbesserten Abstellanlagen. Der Radverkehr soll als umweltfreundliche Alternative zum Kfz-Verkehr gestärkt werden.
- Verkehrsberuhigung: Verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung der Geschwindigkeit, wie z. B. Tempo-30-Zonen, sollen in den Stadtteilen für mehr Sicherheit und Lebensqualität sorgen. Konzepte wie „Superblocks“ könnten die Innenstadt und Wohnviertel deutlich beruhigen.
- Öffentlicher Raum: Plätze und Wohnquartiere werden zu grünen, attraktiven Aufenthaltsorten mit mehr Begrünung und Sitzmöglichkeiten umgestaltet.
- Elektromobilität: Der Ausbau der Ladeinfrastruktur wird angesichts der wachsenden Anzahl von Elektrofahrzeugen forciert. Hier wird besonderes Augenmerk auf dichte Wohngebiete gelegt.
- Digitalisierung und Mobilitätsmanagement: Gezielte Mobilitätskampagnen und ein Mobilitäts-Dashboard sollen helfen, die Mobilitätswende besser sichtbar und verständlicher zu machen.
Für den Radverkehr wurden vier Maßnahmenkataloge genannt: Netzkonzeption, Störungsarmes Radfahren, Stärkung der Wahrnehmung des Radverkehrs, Radabstellanlagen.
Die Maßnahmen zum Radverkehrsnetz stimmen in vielen Punkten mit den Forderungen des Radentscheids überein. Beispielsweise sind zu nennen:
- neue sichere, getrennte Radwege entlang der Hauptverkehrsrouten (3 km pro Jahr)
- wo der Platz für neue Infrastruktur fehlt, die sichere Führung im Mischverkehr durch Absenkung der Höchstgeschwindigkeit
- Markierung von Radpiktogrammen, Öffentlichkeitsarbeit
- neue Fahrradstraßen einrichten, z.B. Barckhausenstraße, Scharnhorststraße, Schützenstraße, Schomakerstraße, Thorner Straße.
Darüber hinaus wurden als Maßnahmen genannt:
- Nahmobilitätskonzepte für die Stadtteile entwickeln
- Ausreichende Beleuchtung, Beschilderung und gute Oberflächen auf den Nebenstrecken und Radschönrouten
Ein weiterer Maßnahmenkatalog bezieht sich auf das störungsarme Radfahren und meint damit beispielsweise:
- Beseitigung von Hindernissen wie Umlaufsperren,
- konsequente Instandhaltung und Beseitigung von Laub und Schnee sowie Rückschnitt von Pflanzen, die in den Verkehrsraum ragen.
Außerdem soll die Wahrnehmung des Radverkehrs gestärkt werden, beispielsweise mit Radzählstationen, Fahrradreparaturstationen und Grünphasenprojektion.
Noch ein wichtiges Maßnahmenbündel bezieht sich auf ein wichtiges Ziel des Radentscheids: der Ausbau der Radabstellanlagen. Dabei werden viele Ideen des Radentscheids aufgegriffen: witterungsgeschützte Unterstände, erhöhter Sicherheitskomfort, Integration der Radabstellanlagen in Mobilitätsstationen usw.
In einem Punkt wird sogar explizit das Ziel des Radentscheids aufgenommen: 100 Radabstellplätze pro Jahr, die nicht zu Lasten des Fußverkehrs gestaltet werden.
Alle Maßnahmen werden hinsichtlich verschiedener Zielkriterien wie z.B. Emissionen, Erreichbarkeit, Flächengerechtigkeit, Zeit und Kosten in einer übersichtlichen Matrix bewertet.
Insgesamt denken wir, dass mit den Maßnahmensteckbriefen eine gute Grundlage geschaffen wurde, um konkrete Maßnahmen auszuarbeiten.
Der NUMP ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer echten Verkehrswende. Die klare Fokussierung auf Fuß- und Radverkehr sowie die gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums sind entscheidende Maßnahmen, um Lüneburg umweltfreundlicher und lebenswerter zu machen. Besonders die Konzepte zur Verkehrsberuhigung, wie Superblocks, könnten dazu beitragen, dass Lüneburg zu einem Vorreiter für nachhaltige Stadtplanung wird.
Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass viele der vorgeschlagenen Maßnahmen weiterhin einen politischen Beschluss erfordern – und hier liegt die Herausforderung. Insbesondere die SPD und CDU in Lüneburg haben in der Vergangenheit immer wieder Vorstöße in Richtung Verkehrswende blockiert oder abgeschwächt. Selbst wenn der NUMP die Ratssitzung am 28.11.2024 übersteht ist daher fraglich, ob die Pläne umgesetzt werden. Diese politische Blockadehaltung steht den drängenden Bedürfnissen nach einer klimagerechten Mobilität und einer gerechteren Flächennutzung entgegen.
Die Förderung der Elektromobilität ist zwar ein wichtiger Zwischenschritt, doch es sollte nicht das Endziel sein, den bestehenden Autoverkehr lediglich zu elektrifizieren. Eine echte Verkehrswende bedeutet, den Autoverkehr insgesamt zu reduzieren und nachhaltige Alternativen wie den ÖPNV und Radverkehr massiv zu stärken.
Insgesamt bietet der NUMP eine solide Grundlage für eine klimafreundliche Zukunft, doch die Umsetzung hängt nun vom politischen Willen ab.
Wir hätten uns deutlich engagiertere NUMP-Maßnahmen gewünscht. Aber demokratische Entscheidungen sind nun mal oft nur Kompromisse. Dies sollten auch die drei Parteien ehrlich anerkennen.
Die 30 Maßnahmensteckbriefe wurden auf 74 Seiten beschrieben und können hier heruntergeladen werden:
https://www.hansestadt-lueneburg.de/bauen-und-mobilitaet/mobilitaet/nump.html