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Verkehrswende-Mythen im Faktencheck – Teil 2: Radverkehrsförderung ist zu teuer

Es kursieren viele Mythen über die Verkehrswende, die wir in unserer neuen Reihe einem Faktencheck unterziehen wollen.

Mythos 2: Radverkehrsförderung ist zu teuer

Häufig wird argumentiert, der Bau von Radwegen sei angesichts leerer kommunaler Kassen einfach zu teuer. So begründeten kürzlich auch SPD, CDU und FDP in Lüneburg ihre Abkehr von einst von ihnen mitgetragenen Ratsbeschlüssen zum Fahrradstraßenring aus 2020 und 2022 mit der verschlechterten städtischen Finanzlage im Vergleich zu damals (1). Ein genauer Blick auf die Zahlen offenbart jedoch: ein Ausbau des Radverkehrs würde kommunale Kassen sogar erheblich entlasten.

Woher der Mythos kommt

Seit den 1950ern war die Infrastrukturpolitik stark auf das Auto fokussiert und das meiste Geld ist in Autoinfrastruktur geflossen. Rad- und Fußverkehr wurden als „Nebenverkehr“ betrachtet und die Budgets für Radwege umfassten oft nur 1–3 % der Verkehrsinfrastrukturausgaben. Wenn ein Bereich chronisch unterfinanziert ist, wirken selbst moderate Investitionen plötzlich „unverhältnismäßig“ – obwohl sie im Vergleich zum Straßenbau oder zu ÖPNV-Projekten weiterhin extrem gering sind.

Was die Zahlen sagen

Der Bau und die Instandhaltung von Radwegen sind deutlich kostengünstiger als die von Autostraßen. Zudem können auf Radwegen auch mehr Personen pro Fläche unterwegs sein. Und da der Ausbau von Radwegen den Autoverkehr insbesondere auf Kurzstrecken deutlich reduzieren kann und Radwege im Vergleich zu Autostraßen zudem weniger Platz benötigen, führen Radwegbau und eine Verkehrswende hin zu etwas weniger Auto- und etwas mehr Radverkehr gerade in städtischen Gebieten langfristig zu erheblichen Kosteneinsparungen bei der Verkehrsinfrastruktur. Ein höherer Radverkehrsanteil reduziert die Kosten für Straßenbau- und Unterhalt, wenn Straßen weniger stark frequentiert werden.(2)

Noch günstiger für das Fahrrad fällt der Auto-Fahrrad-Vergleich bei einer umfassenderen volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse aus, bei der Faktorkosten wie Klimawandel, Luftverschmutzung, Lärm, Ressourcennutzung und Lebensqualität miteinbezogen werden. Studien beziffern bei einem solchen Vergleich den gesellschaftlichen Nutzen des Fahrrads auf 30 Cent pro gefahrenen Kilometer, während Autofahrer:innen 20 Cent Kosten pro Kilometer erzeugen, die derzeit nicht durch verursacherbezogene Steuern und Abgaben gedeckt sind. Bei etwa 20.000 Personenkilometer pro Jahr und Auto erzeugt demnach jedes einzelne Auto so 4.000 Euro Kosten für die Gesellschaft (5).

Die externen Kosten des motorisierten Straßenverkehrs, d.h. alle negativen Auswirkungen, für die nicht die Verkehrsteilnehmer :innen selbst bezahlen, belaufen sich in Deutschland pro Jahr auf rund 140 Milliarden Euro – Kosten, die durch eine Verlagerung von Verkehr hin zu mehr Radverkehr verringert würden (3).

1 Autoparkplatz = 10 Fahrradparkplätze

Auch der ruhende Autoverkehr belastet die Kommunen mit erheblichen Kosten, die bei einer Verkehrswende hin zu mehr Rad- und weniger Autoverkehr verringert würden. Verwunderlich war daher die Begründung, mit der Lüneburger Ratsmitglieder von SPD, CDU und FDP kürzlich den Abbau von Parkplätzen entlang der Ilmenaustraße ablehnten: er sei unwirtschaftlich, da damit wichtige Einnahmen aus Parkgebühren wegfielen (4). Dieses Argument trägt bereits deshalb nicht, da in Lüneburg ausreichend ungenutzter Parkraum in Parkhäusern vorhanden ist, so dass Parkeinnahmen nicht wegfallen, sondern nur auf andere Parkflächen verlagert würden. Zudem dürften die Einnahmen aus den Parkplätzen an der Ilmenaustraße, nach Angaben der Verwaltung aktuell jährlich ca. 1.190 € pro Stellplatz (6), gerade einmal deren Kosten decken. Sie betragen bei solchen Straßenrandparkständen laut Vergleichsberechnungen unter Berücksichtigung von Herstellungs- und Unterhaltskosten, Bodenwert und Opportunitätskosten im Median 1.368 € jährlich pro Stellplatz (7). Der Rückbau unbewirtschafteter Parkplätze führt daher nicht allein zu weniger Parksuchverkehr, besserer Aufenthaltsqualität und mehr Platz für alle, sondern auch zu einer wirtschaftlichen Entlastung der Kommune.

TOP Kosten-Nutzen-Verhältnis

Und eine Verkehrswende hätte weitere gesamtwirtschaftlich positive Effekte: Getrennte Radwege reduzieren Unfallzahlen deutlich und eine Stärkung des Radverkehrs wirkt Bewegungsmangel entgegen, dies führt zur Senkung von Krankheits- und Gesundheitskosten. Eine gute Radinfrastruktur und eine Steigerung der Aufenthaltsqualität in Innenstädten steigert Umsätze im Einzelhandel (8). Ein höherer Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen bewirkt CO₂-, Lärm- und Feinstaubreduktion und kann damit andere, kostenintensiverer Maßnahmen wie den Bau von Lärmschutzwänden erübrigen. Immobilien erfahren eine Wertsteigerung durch Verkehrsberuhigung.

Kommunen profitieren von Fördergeldern

Unzureichend berücksichtigt werden bei der Debatte über die Kosten von Radinfrastruktur auch die zahlreichen Förderprogramme von Bund und Land, die meist 75–80 % und teilweise sogar 90 % der Gesamtkosten durch Zuschüsse decken. Allein der Bund stellt in 2025 Förder- und Finanzhilfeprogramme im Umfang von über 400 Mio. Euro zur Verfügung.(9) Sie machen es für die Kommunen günstiger, Verkehrsinfrastrukturvorhaben mit Radinfrastrukturverbesserungen zu planen, als ohne solche.

Fazit

Der Mythos, Radverkehrsförderung sei kostspielige Klientelpolitik zu lasten kommunaler Kassen, hält einem Blick auf die Zahlen nicht stand. Im Gegenteil: Radverkehrsförderung ist ein Allgemeinwohlprojekt und ein höherer Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen würde kommunale Kassen erheblich entlasten. Wer wirklich Kosten sparen möchte, sollte also dringend mehr in den Radverkehr investieren. Mutiges Umsteuern ist billiger als weiteres Zögern.(3)

 

Quellen:

(1)    Z. B. Ratssitzungen am 19.12.2024 https://www.youtube.com/watch?v=z1JClPDcAbA und 13.11.2025 https://www.youtube.com/watch?v=HoLVnHtvJ84

(2)    Doll, C.; Brauer, C.; Duffner-Korbee, D., Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI (2024): Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz und für lebenswerte Städte und Regionen. Neue Prognoseverfahren für Angebot und Nachfrage im Fahrradland Deutschland bis 2035, file:///C:/Users/Hauptkonto/Downloads/2024-05_adfc_radverkehr_potenzial_abschaetzung_studie_langfassung-1.pdf

(3)    Cuno Bieler, Daniel Sutter, INFRAS: Externe Kosten des Verkehrs in Deutschland, Straßen-, Schienen-, Luft- und Binnenschiffverkehr 2017, Schlussbericht 2019,  https://www.infras.ch/media/filer_public/b0/c9/b0c9923c-199c-4642-a235-9e2440f0046a/190822_externe_kosten_verkehr_2017.pdf

(4)    Ratssitzung am 13.11.2024  https://www.youtube.com/watch?v=HoLVnHtvJ84

(5)    Stefan Gössling: Kostenvergleich Auto-Fahrrad, Deutschland: Berechnungsannahmen, https://orlis.difu.de/handle/difu/249766 ; Präsentation Vivavelo-Kongress Berlin April 2018 https://vivavelo.org/wp-content/uploads/2022/09/Goessling_CBA-Auto-Fahrrad_270418.pdf ; Stefan Gössling, Andy Choi, Kaely Dekker, Daniel Metzler: The Social Cost of Automobility, Cycling and Walking in the European Union, Ecological Economics Vol. 158 April 2019, https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2018.12.016 , https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0921800918308097?via%3Dihub ; Umweltbundesamt: Radverkehr – Vorteile des Radfahrens, https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr/nachhaltige-mobilitaet/radverkehr?utm_source=chatgpt.com#vorteile-des-fahrradfahrens

(6)    Beschlussvorlage – VO/9298/20-5-2, https://buergerinfo.stadt.lueneburg.de/public/vo020?VOLFDNR=1000326&refresh=false&TOLFDNR=1002196

(7)    Bergk, Dünnebeil, Schreiner, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu): Kosten von Parkraum, Ad-hoc-Beratung für das Verkehrsministerium Baden-Württemberg, 2022, S. 26, https://www.klimaschutz-bewegt.de/wp-content/uploads/01_Kosten_Parkraum_ifeu.pdf

(8)    Siehe „Verkehrswende-Mythen im Faktencheck – Teil 1: Weniger Autoverkehr schadet dem Einzelhandel“ im vorherigen Radentscheid -Newsletter aus September 2025 mit weiteren Belegen, https://radentscheid-lueneburg.de/verkehrswende-mythen-im-faktencheck-teil-1-weniger-autoverkehr-schadet-dem-einzelhandel/

(9)    Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur:  Förderung und Finanzierung des Radverkehrs (Förder- und Finanzhilfeprogramme des Bundes 2025, gesamt 405.310.000 €), https://www.bmv.de/SharedDocs/DE/Artikel/StV/Radverkehr/finanzielle-foerderung-des-radverkehrs.html[H1] 

Grafik “Schäden durch Verkehr”: Cuno Bieler, Daniel Sutter, INFRAS: Externe Kosten des Verkehrs in Deutschland, Straßen-, Schienen-, Luft- und Binnenschiffverkehr 2017, Schlussbericht 2019,  https://www.infras.ch/media/filer_public/b0/c9/b0c9923c-199c-4642-a235-9e2440f0046a/190822_externe_kosten_verkehr_2017.pdf